„Spatial Biology“ – die räumliche Biologie – elektrisiert die biologische Forschung. Erstmals sehen Wissenschaftler:innen nicht nur, was in der Zelle passiert, sondern auch, wo genau es passiert. Warum das wichtig ist, erklären die Systemimmunologen Dr. Daniel Ziemek und Dr. David von Schack von Pfizer.
Ziemek: Seit einigen Jahren können wir in jede einzelne Zelle einer Gewebeprobe schauen und ein sehr genaues Bild der molekularen Prozesse gewinnen. Dieser Ansatz ist aus der aktuellen Forschung kaum wegzudenken. Bislang gingen die Informationen über die Lage der jeweiligen Zellen zueinander aber immer verloren. Die Gewebe wurden dem Körper entnommen, die Zellen voneinander getrennt, und dann Zelle für Zelle untersucht. Allerdings ist die Positionierung der einzelnen Zellen zueinander und ihre räumliche Anordnung für ordnungsgemäße biologische Prozesse entscheidend und deshalb eine wichtige Information. Mit der räumlichen Biologie sehen wir jetzt erstmals Zellen in ihrer 2D- oder 3D-Umgebung.
von Schack: Ein Ansatz ist, dass man eine Gewebeprobe auf einen speziell präparierten Objektträger aufbringt. Man kann sie wie gewohnt im Mikroskop betrachten und hat somit schon einmal klassische mikroskopische Informationen gewonnen. Die Oberfläche des Trägers wurde allerdings mit ganz vielen kleinen „Addressaufklebern“, sogenannten „Barcodes“, präpariert. Jeder dieser Aufkleber ist mit seiner aktuellen räumlichen Position beschriftet. Jetzt behandelt man die Gewebeprobe so, dass sich die Moleküle, die man messen will, aus dem Gewebe lösen. Sie kommen genau an der Stelle, wo sie im Gewebe gelöst wurden, mit dem Addressaufkleber in Kontakt und schon ist die räumliche Information festgehalten.
Auf diese Art können wir heute hochspezifisch fast beliebige molekulare Bausteine darstellen, etwa die Menge und die genaue Sequenz von hunderten oder tausenden RNA-Transkripten einzelner Zellen, aber auch spezifische Proteine wie Zellrezeptoren oder Signalmoleküle. Durch Spatial-biology-Methoden entstehen minutiöse Aufnahmen, die die volle molekularbiologische Komplexität von Zellen im Gewebeverband erfassen und somit Rückschlüsse über gesunde und krankhafte Prozesse erlauben.
Ziemek: Diese Bilder basieren auf riesigen Datenmengen, die Sie nur noch mit spezialisierten computergestützten Analyseverfahren bewältigten und interpretierbar machen können ...
Forschung und Innovationen
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Künstliche Intelligenz (KI) könnte die Entwicklung von Medikamenten in Zukunft deutlich beschleunigen und verbessern. Wie, das erklärt Dr. Djork-Arné Clevert, Head of Machine Learning Research, Vice President bei Pfizer.
Fortschritt
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Die Zellbiologie forscht mit KI, um Krankheitsursachen zu finden und neue Medikamente zu entwickeln. Bei Pfizer arbeitet daher der Zellbiologe Dr. David von Schack eng mit dem KI-Experten Dr. Daniel Ziemek zusammen. Ein Gespräch mit den beiden über eines der dynamischsten Forschungsfelder unserer Zeit.
Science
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KI ist ein Treiber für Innovation. Insbesondere an der Schnittstelle von Biologie und Datenwissenschaften entstehen ganz neue medizinische Möglichkeiten.
Ziemek: Viele Leute bekommen vielleicht mit, dass sich bei Bildern in der Forschung zu künstlicher Intelligenz viel bewegt: KI kann Bilder in Stilen von Picasso bis zu Manga-Comics generieren. Außerdem erkennen KI-Methoden auf Bildern nun alle möglichen Gegenstände und können diese beschreiben, was beispielsweise bei der Entwicklung autonom fahrender Autos benutzt wird.
Die rasanten Fortschritte bei der Bildanalyse kommen jetzt auch der Spatial Biology zugute, weil bei diesen Bildern eine enge Verwandschaft zu mikroskopischen Bildern besteht – nur mit viel, viel mehr „Farben“, die dann einzelne Moleküle repräsentieren. Dieses Datenvolumen kann nur Künstliche Intelligenz auswerten: Noch ist die Erzeugung solcher Bilder sehr teuer und nur bei Spezialisten möglich. Aber wie immer bei der Einführung neuer Techniken, werden wir hier rasch eine Expansion sehen, wenn der Preis sinkt und solche KI-Methoden mehr und mehr adaptiert, angewendet und in Fachzeitschriften veröffentlicht werden.
von Schack: Für Milliarden von Jahren war die Evolution auf Einzeller begrenzt, die nur sehr beschränkte biologische Prozesse durchführen konnten. Erst mit der Evolution zu mehrzelligen Organismen konnte eine Spezialisierung von Zelltypen im Gewebeverbund stattfinden, was die unglaubliche Vielfalt der Fauna und Flora, wie wir sie heute kennen, ermöglichte. Menschen, beispielsweise, haben über 200 verschiedene Hauptzelltypen – Blutzellen, Neuronen, Muskelzellen, Hautzellen, Knochenzellen, Leberzellen und viele andere – und jeder Zelltyp erfüllt eine spezifische Rolle. Im Verbund ermöglichen die Zellen die unglaublich komplexe Biologie des Menschen.
Mit Spatial Biology kommen wir nun der Komplexität von gesunden und krankhaften Zellvorgängen immer genauer auf die Spur. Ein Beispiel ist Krebs: Ein Tumor ist ein vielgestaltiges Gebilde, fast wie ein Organ, mit ganz unterschiedlichen Zelltypen: Neben den entarteten Krebszellen findet man in einem Tumor „nicht-krebsartige“ Zelltypen, z.B. strukturgebende Fibroblasten, Immunzellen oder blutgefäßbildende Endothelzellen, die für das Wachstum eines Tumors essentiell sind. Neuartige Therapieansätze zielen auf diesen Verbund an Zelltypen ab, anstatt nur auf die entarteten Krebszellen zu fokussieren. Es ist deshalb wichtig zu wissen, wie die Zellen angeordnet sind, wie sie interagieren, kommunizieren und sich gegenseitig unterstützen.
Ziemek: Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz können bestimmte Aktivitätsmuster in bestimmten Zell-Zellinteraktionen erkennen, die auf eine Kommunikation zwischen diesen Zelltypen hinweist. Diese Kommunikation könnte z.B. zeigen, wie Tumorzellen versuchen, das Immunsystem im Tumorgewebe zu unterdrücken und welche Zelltypen den Tumor unterstützen. Die müssten in der Krebtherapie dann unterdrückt werden.
Von Schack: Körpereigene Immunzellen, die den Tumor am Wachstum zu hindern versuchen, könnten wir dann mit einer Immuntherapie anregen. Letztlich wollen wir eines Tages gesundes Gewebe mit krankem vergleichen und erforschen, was den Unterschied macht. Spatial Biology wird unser Verständnis von Zellbiologie, Entwicklungsbiologie, Neurobiologie, Tumorbiologie usw. stark verändern, eben weil die räumliche Lage der Zellen jeweils mit ihrer biologischen Aktivität zu tun hat.
Mit den Technologien wachsen die Erkenntnisse der Zellbiologie. Eine Analogie, was verschiedene Untersuchungsmethoden von Zellen erreichen können.
Bis vor etwa zehn Jahren konnte man Zellen nur als Zellgemisch oder vermeintlich homogenen Zellpopulation untersuchen, die zuvor aus Geweben oder Körperflüssigkeiten isoliert worden waren. Sequenziermethoden zeigten, welche Gene in Zellen aktiv sind – aber lieferten dabei immer nur einen Mittelwert aller exprimierten Gene aus der Probe. Bildlich gesprochen: Man merkt, dass ein Smoothie nach Beeren schmeckt, weiß aber nicht, wie viele und welche genau drin sind.
Mit der Einzelzell-Analyse wurde es vor etwa zehn Jahren möglich, die Gene jeder einzelnen Zelle auszulesen. Es ist, als ersetze man einen Beeren-Smoothie durch einen Obstsalat und weiß dabei genau: Es sind dreißig Heidelbeeren, 15 Himbeeren und 20 Erdbeeren drin. Wobei jede Heidel-, Him- oder Erdbeere für sich ein bisschen anders schmeckt.
Bei der Einzelzellanalyse (Bild oben) gingen die Informationen zur räumlichen Lage dieser untersuchten Zelle jedoch verloren. Spatial Biology ist sozusagen die Obsttorte: Die aus der Einzelzellanalyse gewonnenen Erkenntnisse („dreißig Heidelbeeren, 15 Himbeeren und 20 Erdbeeren“) werden noch mit Informationen zu ihrer räumlichen Lage verknüpft. Man weiß genau, wo welche Frucht liegt und wie sie mit den anderen verbunden ist.